Im Auftrag der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin hat der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Insolvenzrecht an der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Martin Schwab, jetzt ein Gutachten zu „Rechtsfragen des sozialen Wohnungsbaus in Berlin“ vorgelegt.
Gegenstand der Untersuchung ist das Kostenmietensystem, das in Berlin vom klassischen Mieterschutzinstrument zum System der Existenzbedrohung für Mieterinnen und Mieter und zum Schrecken von Haushalts- und Finanzpolitikern mutiert ist. Zum ersten Mal nimmt damit eine rechtswissenschaftliche Studie das Problem des Sozialen Wohnungsbaus Berliner Prägung in den Blick: Künstlich überhöhte, wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Kosten aus der Bauphase der Sozialbauten haben zu künstlich überhöhten, wirtschaftlich nicht zu rechtfertigenden Kostenmieten geführt, die oft ein Vielfaches der ortsüblichen Vergleichsmieten betragen. Diese im Rahmen von speziellen Steuersparmodellen der Investoren zunächst in die Höhe getriebenen Mieten wurden jahrzehntelang auf Kosten der Steuerzahler wieder heruntersubventioniert. Mittlerweile werden diese Kosten nicht mehr hinreichend ausgeglichen, was nicht selten zur Folge hat, dass die höchsten Mieten Berlins ausgerechnet von Sozialmieterinnen und Sozialmietern geschultert werden müssen.
Im Unterschied zu dieser Rechtspraxis kommt Prof. Dr. Schwab zu dem Ergebnis: Wurde gegen das Grundprinzip des Kostenmietrechts – gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot – verstoßen, so muss der daraus resultierende überhöhte Mietanteil von den Mieterinnen und Mietern nicht gezahlt werden. Die Bewilligungsbescheide, mit denen einstmals rechtswidrige Kostenmieten genehmigt wurden, sind für das Verhältnis von Vermieter zu Mieter nicht bindend.
Im Insolvenz- und Veräußerungsfall machen neue Eigentümer von Sozialwohnungen gegenüber Mietern und Steuerzahlern für weitere Jahrzehnte fiktive Kosten geltend, mit denen sie niemals belastet waren und erwirtschaften dadurch sehr hohe Renditen.
Beispiel Fanny-Hensel-Kiez: Es kommt zum freihändigen Verkauf und zum Eigentümerwechsel. Die Rendite auf das vom Eigentümer eingebrachte Eigenkapital steigt von 4,5 % p.a. auf 31,5 % p.a. Eigentümer 2 erwirtschaftet gegenüber Eigentümer 1 einen sieben mal höheren Reingewinn. Delikat: Die Investitionsbank Berlin (IBB) hat Eigentümer 2 einen Ankaufkredit in Höhe von 2,1 Mio. € gewährt.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der sog. Einfrierungsgrundsatz, auf den sich die neuen Eigentümer in diesen Fällen berufen, nicht gegen den Mieter gewendet werden darf, wie es derzeit aber Praxis ist.
Da geltendes Recht in Berlin seit Jahrzehnten falsch angewendet werde, empfiehlt der Rechtswissenschaftler – zur Schaffung von Rechtssicherheit – gesetzliche Klarstellungen vorzunehmen, wofür das Land Berlin seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Kompetenz besitzt. Seither hat der Landesgesetzgeber im Jahr 2011 das Wohnraumgesetz Berlin verabschiedet, das die Situation der Mieterinnen und Mieter nicht wesentlich verbessert hat und stattdessen die Möglichkeit eröffnet, dass Belegungsrechte ohne Gegenleistung für Berlin verloren gehen (§ 5 Wohnraumgesetz Berlin).
Um Vermietern und Mietern das Risiko langwieriger und teurer Gerichtsprozesse zu ersparen, empfiehlt das Gutachten, dass die tatsächlich zulässigen Kostenmieten durch eine vom Abgeordnetenhaus von Berlin einzusetzende Enquête-Kommission ermittelt werden. Das Ziel ist hierbei, dass Mieter und Steuerzahler zukünftig nur noch für Kosten bezahlen, die den Vermietern auch tatsächlich entstanden sind und die auch erforderlich waren bzw. sind. Auf diese Weise sollen trotz deutlich geringerer Mieten die Belegungsbindungen erhalten bleiben und die Funktion der Sozialwohnungen wieder hergestellt werden.
Eine dementsprechende rechtliche Klarstellung sowie ein modifiziertes Wohnraumgesetz sollten in einem Reparaturgesetz zum Sozialen Wohnungsbau Berlins zusammengefasst werden, das durch eine zu schaffende Berliner Berechnungsverordnung ergänzt wird. Zur Umsetzung der Gestaltungsmöglichkeiten des Landes sollte auch die Einführung einer sozialen Richtsatzmiete geprüft werden.
Für jedes einzelne Objekt des Sozialen Wohnungsbaus muss die tatsächlich zulässige Kostenmiete individuell ermittelt werden, was zwar aufwändig aber nicht zu vermeiden ist. Die Mühe wird sich aller Voraussicht nach lohnen, denn es steht eine dauerhafte Entlastung des Landeshaushalts zu erwarten, wenn der Senat die Bewilligungsstelle anweist, die Berechnung der Kostenmieten zu korrigieren. Je geringer die Kostenmieten tatsächlich sind, desto weniger Steuergeld ist notwendig, um die Mieten auf für Sozialmieterinnen und Sozialmieter bezahlbare Beträge herunter zu subventionieren.
Dadurch, dass die Kostenmieten um die rechtswidrigen Kostenanteile bereinigt werden, wird auch der frei finanzierte Mietmarkt entlastet. Denn: Nach Auslaufen der Sozialbindungen finden die überhöhten Kostenmieten keinen Eingang mehr in das Vergleichsmietensystem, so dass der Mietspiegel auf diese Weise nicht mehr potentiell nachteilig beeinflusst wird.
Die vom Gutachten empfohlene Enquête-Kommission sollte die Chancen und Risiken für den Landeshaushalt bewerten, wenngleich Prof. Dr. Schwab es vor dem heutigen Kenntnisstand als sehr unwahrscheinlich erachtet, dass es infolge der Beendigung der rechtswidrigen Zustände zu erfolgreichen Schadensersatzklagen gegen das Land Berlin kommt. Auch etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken der Eigentümer seien kaum Aussichten auf Erfolg beschieden, da nur die Refinanzierung von tatsächlichen und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots entstandenen Kosten unter dem Schutz des Grundgesetzes stehe.
Während der Senat von Berlin immer nur verschiedene Varianten der Subventionierung von überhöhten Kostenmieten als scheinbare Lösung des Mietenproblems im Sozialen Wohnungsbau anbietet, zeigt das Rechtsgutachten, dass eine nachhaltige Lösung ohne Widereinstieg in die verfehlte Förderung erreicht werden kann. Dazu bedarf es der Schaffung eines Reparaturgesetzes zum Kostenmietensystem Berliner Prägung.