Erläuterungen
I. Dringlichkeit
Bei dieser Verordnung geht es um die kurzfristige Reparatur eines Rechtszustands, der zu vermeidbar hohen Mieten führt. Alle Objekte, die mit dem Jahreswechsel 2017/2018 die Eigenschaft „öffentlich gefördert“ verlieren, drohen durch diesen Rechtszustand mit einer vermeidbar hohen Ausgangsmiete ins Vergleichsmietensystem entlassen zu werden. Die Objekte unterliegen dann dem Regime der §§ 558 ff. BGB und sind dem Zugriff des Berliner Landegesetzgebers fortan entzogen, mithin für mietenpolitische Maßnahmen des Landes Berlin nicht mehr erreichbar – vor allem dann nicht, wenn die Ausgangsmiete oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt; denn dann greift auch die Mietpreisbremse nicht mehr.
Weitere politische Veränderungen im preisgebundenen Mietrecht – sei es im System des Kostenmietrechts selbst, sei es in Gestalt einer Systemumstellung – werden durch diese Verordnung weder ausgeschlossen noch inhaltlich präjudiziert.
II. Der zu behebende Rechtszustand
Das bisherige Kostenmietrecht erlaubt es Vermietern, die Sozialwohnungen mit Fremdmitteln finanziert und diese planmäßig getilgt haben, in die Berechnung der Kostenmieten Kostenpositionen einzusetzen, denen keine Zahlungsverpflichtungen gegenüberstehen. Es handelt sich um die sogenannten Entschuldungsgewinne. Mit diesem Begriff wird in der juristischen Diskussion das Phänomen bezeichnet, daß Vermieter Zinsen auf Fremdmittel (insbesondere Darlehen) auch dann noch ansetzen dürfen, wenn bzw. soweit sie selbst keine Zinsen mehr an die Banken bezahlen müssen, weil sie die Fremdmittel bereits ganz oder teilweise zurückgeführt haben.
Die Entschuldungsgewinne haben sich in der Vergangenheit als erheblicher Kosten- und damit Mietentreiber erwiesen. Eine plausible ökonomische Rechtfertigung für den Ansatz von Entschuldungsgewinnen in der Kostenmiete ist bis heute nicht vorgetragen worden (ausführliche Dokumentation des Streitstandes bei Schwab, Rechtsfragen des sozialen Wohnungsbaus, 2015, Seite 73 ff.). Werden die Vermieter gezwungen, die Entschuldungsgewinne noch im Jahr 2017 aus den Wirtschaftlichkeitsberechnungen herauszustreichen, so hat dies zum gemeinsamen Nutzen von Mietern und Steuerzahlern folgende positive Effekte:
- Tritt diese Verordnung beispielsweise mit Wirkung zum 24.12.2017 in Kraft, kommt es für alle Mieter von Berliner Sozialwohnungen, bei denen Entschuldungsgewinne einen Teil der Miete ausmachen, am 24.12.2017 zur Mietsenkung. Dies kommt auch einem Weihnachtsgeschenk an die Steuerzahler gleich, da bei Transferleistungsempfängern geringere Transferleistungen und bei Mietzuschussempfängern geringere Mietzuschüsse bezahlt werden müssen.
- Die Miete, die für Dezember 2017 zu bezahlen ist, wurde zwar schon zu Monatsbeginn fällig, muß aber über den ganzen Monat hinweg von den Vermietern verdient werden. Werden die Entschuldungsgewinne z.B. zum 24.12.2017 gestrichen, sinken zu diesem Termin die Aufwendungen der Vermieter. Die Folge hiervon ist, dass in diesem Zeitpunkt automatisch die Kostenmieten und die von den Mietern zu bezahlenden Mieten gesenkt werden (§ 5 Abs. 1 Neubaumietenverordnung). Die Vermieter müssen dann eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung aufstellen und die für das letzte Monatsviertel zu viel gezahlte Miete erstatten (entsprechend § 8 Abs. 2 Satz 2 Wohnungsbindungsgesetz).
- Im Hinblick auf die Wohnungen, die mit Ablauf des Jahres 2017 ihre Sozialbindung verlieren, bedeutet dies: Die Wohnungen werden mit geringeren Ausgangsmieten in das Vergleichsmietensystem entlassen. Wenn die Entschuldungsgewinne spätestens mit Wirkung zum 31.12.2017 aus der Kostenmietenberechnung entfernt werden, tragen die mit Steuermitteln geförderten Wohnungen weniger zur Erhöhung der ortsüblichen Vergleichsmiete bei, als dies bisher der Fall ist.
III. Kompetenz des Senats von Berlin zum Erlaß dieser Rechtsverordnung
Mit der Föderalismusreform gelten das Wohnungsbindungsgesetz und die II. Berechnungsverordnung als Landesrecht weiter und können durch die Organe der Landesgesetzgebung geändert werden. Da die II. Berechnungsverordnung nur in ihrem bisherigen Rang als Rechtsverordnung weiter gilt, kann sie durch eine Rechtsverordnung des Senats von Berlin geändert werden.
IV. Reichweite der vorgesehenen Änderung
1. Da es an einer ökonomischen Rechtfertigung für den Ansatz von Entschuldungsgewinnen fehlt, spricht nichts dagegen, die vorgeschlagene Verordnung in gleicher Weise auf Objekte mit und ohne Anschlußförderung zu erstrecken.
2. Es ist nach der hier vertretenen Ansicht zwar rechtlich nicht zwingend, könnte sich aber unter Umständen als politisch opportun erweisen, den Vermietern im Gegenzug zur Streichung der Entschuldungsgewinne in maßvollem (!) Umfang entgegenzukommen:
a) Man hat versucht, den Ansatz von Entschuldungsgewinnen damit zu rechtfertigen, daß den Vermietern auf diese Weise eine – allerdings dann sehr großzügig bemessene – zusätzliche Instandhaltungsreserve zur Verfügung steht. Streicht man den Ansatz von Entschuldungsgewinnen, könnte in einem zweiten Schritt eine Erhöhung der Instandhaltungspauschale nach § 28 Abs. 2 der II. Berechnungsverordnung in Betracht gezogen werden.
b) Die bisherige Rechtslage ist durch folgende Eigenheit gekennzeichnet: Fremdmittel, die planmäßig getilgt werden, bleiben ihrem Rechtscharakter nach Fremdmittel. Die Vermieter dürfen für planmäßig getilgte Beträge die bisherigen Zinssätze ansetzen (§ 23 Abs. 4 Satz 2 der II. Berechnungsverordnung) – eben die Entschuldungsgewinne, die deshalb so heißen, weil die Vermieter im Umfang der Tilgung keine Zinslasten mehr treffen. Fremdmittel, die abgelöst werden, verwandeln sich dagegen in Eigenmittel. Im zuletzt genannten Fall findet eine Umfinanzierung statt mit der Folge, daß die Vermieter ab sofort die gesetzliche Eigenkapitalverzinsung ansetzen dürfen (§ 23 Abs. 4 Satz 3 der II. Berechnungsverordnung).
Diese Rechtslage enthält bereits jetzt eine Ungleichbehandlung: Die Vermieter, die Fremdmittel planmäßig tilgen, werden hinsichtlich des Kostenansatzes anders behandelt als die Vermieter, die Fremdmittel durch Eigenmittel ablösen. Die planmäßige Tilgung ist – anders als die Ablösung – nach der ausdrücklichen Wertung durch den Verordnungsgeber keine Umfinanzierung. Diese Ungleichbehandlung mag sich bald zugunsten der einen, bald zugunsten der anderen Vermieter auswirken: Nach planmäßiger Tilgung entstehen bei Fremdmitteln, die hoch verzinslich sind, hohe Entschuldungsgewinne, die u.U. die Gewinne aus der gesetzlich vorgesehenen Eigenkapitalverzinsung (§ 20 Abs. 2 der II. Berechnungsverordnung) überschreiten können. Bei niedrig verzinslichen Fremdmitteln fällt der Entschuldungsgewinn hingegen geringer aus als der Gewinn aus der Eigenkapitalverzinsung.
Wenn der Ansatz von Entschuldungsgewinnen als Ganzes verboten wird, verschärft sich die heute bestehende Ungleichbehandlung zum Nachteil derjenigen Vermieter, die Fremdmittel planmäßig getilgt haben; denn sie dürfen dann gar keine Verzinsung mehr ansetzen – während die Vermieter, die Darlehen mit Eigenmitteln ablösen, nach wie vor die gesetzliche Eigenkapitalverzinsung geltend machen dürfen. Es mag sich daher anbieten, den Vermietern, die Fremdmittel planmäßig tilgen, nach der Inkraftsetzung dieser Verordnung in einem zweiten Schritt ein Stück weit entgegenzukommen – indem man ihnen eine maßvolle Mindestverzinsung zubilligt. Die Ungleichbehandlung wirft jedoch – und zwar egal, ob man sie teilweise nivelliert oder nicht – kein verfassungsrechtliches Problem unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG auf. Der Verordnungsgeber hat politisch entschieden, daß die Ablösung von Fremdmitteln durch Eigenmittel wirtschaftlich etwas anderes ist als die planmäßige Tilgung von Fremdmitten. Also darf er diese beiden Fallgruppen auch rechtlich unterschiedlich behandeln. Wollte man dies anders sehen, so wäre bereits der jetzige Stand der II. Berechnungsverordnung in diesem Punkt verfassungswidrig.
c) Die Streichung der Entschuldungsgewinne hätte eigentlich zur Folge, daß mit jeder planmäßigen Tilgungsleistung die Wirtschaftlichkeitsberechnung geändert werden müßte. Um den hiermit verbundenen administrativen Aufwand für die Vermieter auf ein vertretbares Maß zu begrenzen, wird die Regelung des neuen § 21 Abs. 6 vorgeschlagen. Hiernach ändern sich die Kapitalkosten im Rechtssinne nur alle halbe Jahre durch planmäßige Tilgung. Dadurch bleiben den Vermietern die Entschuldungsgewinne bis zu einem halben Jahr lang erhalten. Dieses Entgegenkommen an die Vermieterseite ist ebenfalls optional und nicht zwingend. Im Ergebnis verringern sich die Mieten auf der Grundlage des hier vorgeschlagenen § 21 Abs. 6 durch die planmäßige Tilgung von Fremdmitteln nicht in kürzeren Abständen als alle sechs Monate.
3. Verwaltungskostenbeiträge sind gem. § 21 Abs. 1 Satz 3 der II. Berechnungsverordnung wie Zinsen zu behandeln. Da nach dem hier vorgelegten Regelungsvorschlag Zinsen auf planmäßig getilgte Fremdmittel nicht mehr angesetzt werden dürfen, gilt dies auch für Verwaltungskostenbeiträge.
4. Sollte für die Bedienung von Fremdmitteln eine Bürgschaft in Anspruch genommen werden, sind die Fremdmittel im Rechtssinne nicht getilgt, sondern es wird nur der Gläubiger ausgewechselt: An die Stelle des bisherigen Fremdkapitalgläubigers tritt der Bürge als Regreßgläubiger. Dieser Fall bedarf damit keiner eigenständigen Regelung.
V. Verfassungsrechtliche Aspekte
Der hier vorgeschlagene Verordnungsentwurf minimiert verfassungsrechtliche Risiken:
- Die nach Art. 64 der Verfassung von Berlin erforderliche Ermächtigungsgrundlage findet sich in § 28 WoBindG. Diese Vorschrift gilt, seitdem das Recht des Sozialen Wohnungsbaus in die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer gefallen ist, als Landesrecht fort.
- Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Rückwirkungsverbot wird beachtet. Denn der Ansatz von Entschuldungsgewinnen wird lediglich für die Zukunft ausgeschlossen.
- Sollte ein Verstoß gegen das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt werden, wäre dieser Vorwurf auch gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage zu erheben (näher oben IV.2.b).
- Mit Blick auf die für das kommende Jahr angekündigte Novelle des Berliner Wohnraumgesetzes ist hervorzuheben, dass der vorgeschlagene Verordnungsentwurf das öffentlich verlautbarte Bestreben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen aufgreift, Kostenpositionen zu neutralisieren, denen keine Zahlungsverpflichtungen der Vermieter gegenüberstehen. Dies bedeutet: Sollte die Streichung von Entschuldungsgewinnen auf verfassungsrechtliche Hindernisse im Zusammenhang mit dem Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG stoßen, so würden eben diese Hindernisse auch bei dem von der Senatsverwaltung angestrebten Gesetzesvorhaben bestehen.
Wird die hier vorgeschlagene Regelung in Form einer Rechtsverordnung in Kraft gesetzt und stellt sich dann vor Gericht heraus, dass eine ersatzlose Streichung der Entschuldungsgewinne trotz der fehlenden ökonomischen Rechtfertigung (näher oben II.) nicht zulässig ist, wäre der Mißerfolg in seiner Reichweite überschaubar. Da es nur um einen punktuellen Eingriff in das System geht, würde auch nur dieser punktuelle Eingriff von den Gerichten rückgängig gemacht: Es bliebe dann ganz einfach bei der bisherigen Rechtslage. Die mietenbegrenzenden Elemente des Kostenmietrechts würden in Kraft bleiben. Wird die Streichung der Entschuldungsgewinne hingegen im Rahmen einer umfassenden gesetzlichen Änderung bewirkt und hat diese dann vor Gericht keinen Bestand, so besteht die Gefahr, daß jene mietenbegrenzenden Elemente ohne eine gleichwertige Ersatzregelung zum Schutze der Mieter wegfallen. Die Streichung der Entschuldungsgewinne per Rechtsverordnung ist daher das Mittel der Wahl.
Schwab mieterstadt.de – Entwurf Rechtsverordnung 15. Dezember 2017